Lucas Cranach d. Ä. - Der verliebte Alte

Auktion 410, Kat.-Nr. 555

JUBILÄUMS-AUKTION

am 20. September 2023 bis 21. September 2023

Lucas Cranach d. Ä.

1472 Kronach - 1553 Weimar


Der verliebte Alte

Schätzpreis:
€ 50.000 bis € 70.000

Differenzbesteuerung    

Ergebnis:
€ 97.500 (inkl. 30 % Käuferaufgeld)

Beschreibung:

Lucas Cranach d. Ä.

1472 Kronach - 1553 Weimar

Der verliebte Alte


Rücks. Wachssiegel der Königlichen Gemälde-Galerie in Dresden. Ebd. hs. Nummerierung 5597 und hs. Bezeichnung "from the Royal Collection (Saxony)". Öl und Perlmuttplättchen auf Holz. 42,5 x 26,3 cm. Rest. Rahmen (52,5 x 36 cm).


Die vorliegende Darstellung entspricht thematisch eigentlich den bekannten Versionen des "Verliebten Alten": Eine junge Frau nimmt - während sie den gealterten Galan liebevoll anschaut - Münzen aus der Geldkatze, welche dieser vor seinem Bauch trägt. In seiner deutlich sichtbaren Gefühlsregung, die er mit uns teilt, indem er aus dem Gemälde herausblickt, nimmt der Alte den Diebstahl nicht wahr. So weit, so gut. Eine die sittliche Moral der Zeitgenossen Cranachs befördernde Darstellung ... Und doch ist das Gemälde viel mehr, es sollte durch seine "Biographie" als einzigartig zu gelten haben.

Denn im heutigen Zustand sehen wir ausschließlich die Köpfe, die Büste der jungen Frau und drei Hände vor dunklem Hintergrund, von Lucas Cranach d. Ä. gemalt. Der Rest der Fläche wird durch eine dichte und schillernde Perlmuttauflage bedeckt. Eine Perlmuttauflage, die zumindest in Teilen bereits im Jahr 1858 nachzuweisen ist, als man das Gemälde wie folgt inventarisierte: "[...] In der Gewandung sind Perlmutter Stücke eingesetzt." Zuvor erfolgt in diesem Inventareintrag aber eine konkrete Beschreibung der (noch) gemalten Handlung: "Ein Alter liebkost ein Mädchen, das ihm ungemerkt Geld aus dem Beutel nimmt." Oder hat am Ende der Verfasser des Inventares beim Verfassen des Zusatzes bezüglich des Perlmutts ungenau formuliert? Am Schriftbild des Eintrages im Vorrats-Inventar von 1858 ist deutlich zu erkennen, dass dieser Beisatz nachträglich, in kleinerer Schrift und möglicherweise auch sehr schnell hinzugefügt wurde. In welchem Umfang der Perlmuttbesatz bereits im 19. Jahrhundert existierte, kann man aus diesem knappen Inventareintrag nicht entnehmen.

Interessant ist aber sicherlich die Feststellung, dass in die Haube der jungen Frau im unteren Teil nicht nur ebenfalls ein Perlmuttstück eingelegt ist, sondern dass deren oberer Teil aus einer metallischen und wohl schon seit längerer Zeit (wenn nicht schon immer) mit dem Dekor der Haube bemalten Einlage besteht.

Eine Röntgenaufnahme machte sichtbar, dass die Konturen unterhalb des bemalten Bereichs akkurat ausgeschnitten wurden, die Holzplatte offenbar um wenige Millimeter abgetragen wurde, um ein planes Einsetzen der Perlmuttplättchen zu ermöglichen. Die Anordnung der Plättchen verwirrt auf den ersten Blick, man nimmt das bunte Irisieren des Perlmutts in all seiner Pracht zuerst wahr.

Bei genauerer Betrachtung erschließt sich aber, dass der Perlmuttbelag ganz bewusst die bestimmenden Linien der ehemaligen Bemalung aufnimmt: Wir erkennen die Kontur des linken Armes der jungen Frau bis zu ihrer Hand, die Kontur des angepufften linken Ärmels eingeschlossen. Wir können den angewinkelten rechten Arm des Alten nachvollziehen, man glaubt sogar, die Säume eines von diesem umgelegten Umhanges wahrnehmen zu können.

Der Perlmutt-"Künstler" verwendete bewusst Perlmutt von zweierlei Herkunft. Dies macht die Prüfung der Oberfläche unter UV-Licht besonders deutlich: Das "Kleid" der jungen Dame reflektiert das UV-Licht - im Gegensatz zur "Kleidung" des Herren - deutlich rötlich. Manche der Perlmuttplättchen weisen zarte Spuren einer schraffenartigen Gravur auf, ein Umstand, der auf eine Zweitverwendung der Plättchen schließen lassen könnte.

Schade nur, dass die Perlmuttauflage erst später (hier schweigen die Quellen bis in das Jahr 1858) aufgetragen wurde: Denn die Holzplatte erfuhr bereits davor eine Beschädigung, im linken Bereich ist ein durchlaufender vertikaler Bruch des Holzes nachweisbar. Dieser Bruch wurde restauriert, im linken oberen Teil des Hintergrundes sind auch deutliche Retuschen nachweisbar. Wäre das Perlmutt bereits zum Zeitpunkt der Beschädigung aufgelegt gewesen, hätte es aufgrund seiner spröden Struktur sofort Schaden genommen.

Im Rahmen der Recherchen zu diesem Gemälde wurden verschiedene Thesen aufgestellt und mangels Beweisen wieder verworfen. Man hätte das Gemälde zu gerne in eine der Kunst- und Wunderkammern der Zeit integriert gesehen, das Perlmutt als passende spätere Dekoration in einem solchen Umfeld interpretiert. Eine andere Vermutung lautete, dass das Gemälde im unteren Bereich so stark beschädigt war, dass man sich zu einem durchgehenden Belag mit Perlmutt entschloss.

Die vorliegende Version des "Verliebten Alten" kann in ihrem aktuellen Zustand als einmalig gelten. Eine "Collage", bevor die Collage als künstlerische Technik von den Künstlern des beginnenden 20. Jahrhunderts überhaupt erst erfunden und dann heftig propagiert wurde? Ein Restaurator, der ante temporis einer Philosophie der Restauratoren des 20. Jahrhunderts anhing, die beschädigte oder verloren gegangene Bereiche eines Kunstwerkes nicht rekonstruieren wollten, sondern andeutend nachempfinden wollten?

Andererseits darf nicht vergessen werden, dass am sächsischen Hof Perlmutt als kostbares Material sehr geschätzt wurde.

PERLMUTT - IN SACHSEN

In den Flüssen im Vogtland fand man besonders reiche Vorkommen an Perlmuscheln. Begehrt waren natürlich vor allem die Perlen selbst, die man nur in einer von 2.000 Muscheln fand. Aus den anderen Muscheln (auch dem gewonnenen Perlmutt) fertigte man kunsthandwerkliche Gegenstände. Die Perlenfischerei in Sachsen reicht bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts zurück und wurde vermutlich zuerst von venezianischen Kaufleuten betrieben. Im Jahre 1621 wurde sie für landesherrliches Recht erklärt. In dieser Zeit fanden auch aufwändig mit Perlmutt verzierte Objekte Eingang in die kurfürstliche Kunstkammer. Aus Gujarat in Indien wurden Perlmuttarbeiten nach Europa importiert, hiesige Goldschmiede sorgten für eine kostbare Weiterverarbeitung derselben. Ein besonders schönes Beispiel hierfür ist eine Prunkschatulle im Dresdener Grünen Gewölbe (Inv.-Nr. III 55), bei der eine solche Perlmuttarbeit von Nicolaus Schmidt, einem Nürnberger Goldschmied, in den 1590er Jahren prächtig montiert wurde.

Die Wertschätzung des Perlmutts war aber auch ein internationales und interkontinentales Phänomen:

PERLMUTT - IN MEXIKO

Eine Mischung aus asiatischen und europäischen Gestaltungsideen findet sich in Mittelamerika: In Mexiko entstanden die "enconchados". Hierbei wurden im 17. und 18. Jahrhundert große Perlmuttflächen in Gemälde, die motivisch und künstlerisch auf europäische Vorbilder zurückzuführen sind, eingelegt.

Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist eine Darstellung des Hl. Diego von Alcalá aus dem späten 17. Jahrhundert (Philadelphia Museum of Art - Zugangsnummer 2015-166-1. Vgl. https://philamuseum.org/collection/object/336138). Hier finden wir das Gewand des Heiligen vollständig in Perlmutt eingelegt, dieses wurde anschließend noch bemalt. Der "enconchado" in Philadelphia zeigt in seiner Erscheinung eine frappierende Ähnlichkeit mit dem vorliegenden Gemälde. Weltweit haben sich von in dieser Technik gearbeiteten Gemälden nur wenige Hundert Exemplare erhalten.

Je länger man sich mit unserem "Verliebten Alten" befasst, umso geheimnisvoller wird seine Geschichte, seine "Biographie". Aber zumindest sollte feststehen, dass es einen Auftrag für diese Perlmuttdekoration gegeben haben muss, von wem und wann auch immer. Ziel des Unterfangens: "Creating a unique eyecatcher"!

Dr. Michael Hofbauer, Heidelberg, bestätigte nach der Prüfung des Originals per Mail vom 12. Juli 2023 die Eigenhändigkeit des vorliegenden Gemäldes. Er hat dieses am 8. Juli 2023 auch mittels Infrarotreflektographie (OSIRIS A1) untersucht. Das Gemälde war bereits in den Corpus Cranach mit Nr. CC-SUP-100-118 aufgenommen, die Daten werden aktualisiert, die Autorschaft wird mit "C1" (Lucas Cranach der Ältere oder innerhalb von dessen Werkstatt entstanden) erfasst werden. Dr. Hofbauer grenzt den Zeitraum der Entstehung zwischen 1530 und vor 1536/37 ein, dem Zeitpunkt als die Warschauer Version (Corpus Cranach CC-SUP-100-032) geschaffen wurde.



Provenienz: Königliche Gemälde-Galerie Dresden mit folgenden Einzelnachweisen: Johann Adam Steinhäuser, Inventar 1722-28 (Handschrift, Archiv der SKD, Gemäldegalerie Alte Meister, Nr. 356), Inv.-Nr. B 120: als Kopie nach Lucas Cranach. Angabe der Herkunft "Kunstcamm." (= Kunstkammer). Das Gemälde gehörte also zum Bestand der 1560 von Kurfürst August von Sachsen eingerichteten Dresdner Kurfürstlichen Kunstkammer. Das Gemälde kann aufgrund der sehr summarischen Erfassung von Gemälden in den Kunstkammer-Inventaren dort jedoch nicht identifiziert werden. - Johann Adam Steinhäuser, Inventar 1741 / "Steinhäusers Inventar" (Handschrift, Archiv der SKD, Gemäldegalerie Alte Meister, Nr. 357), Inv.-Nr. 120: wiederum als Kopie nach Lucas Cranach. - Königliche Gemäldegalerie Dresden, Inventar "Vorrat" (1858), Inv.-Nr. 244: als Kopie nach Cranach. "Ein Alter liebkost ein Mädchen, das ihm ungemerkt Geld aus dem Beutel nimmt. In der Gewandung sind Perlmutter Stücke eingesetzt." - Verzeichnis der aus den Vorräthen der Kgl. Gemälde-Galerie zu Dresden den 16. April 1860 [...] zu versteigernden Oelgemälde, durch Carl Gotthelf Bautzmann, Kgl. Bücher-Auctionator und Taxator. Dresden 1860, S. 13, Kat.-Nr. 81 "Ein Alter liebkost ein Mädchen ..." (dort als Schule Lucas Cranachs katalogisiert). - Neumeister, München, Auktion 152, 13.-15. März 1974, Kat.-Nr. 1364 (mit Abb. Taf. 105): als eigenhändige Arbeit Lucas Cranachs d. Ä. - Süddeutscher Privatbesitz (Nachlass des Käufers von 1974).

Literatur: "Cranach". Hg. von Harald Marx und Ingrid Mössinger. Mit einem Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erarbeitet von Karin Kolb. Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Chemnitz, 13. November 2005 - 12. März 2006. Köln 2005, S. 539, mittlere Spalte unten: das vorliegende Gemälde.

Wir danken allen involvierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden für ihre unkomplizierte Unterstützung im Rahmen der Katalogisierung. Namentlich genannt seien Dr. Roland Enke, Carina Merseburger und Vera Wobad, die bezüglich der Nachweise des Gemäldes in den Dresdener Inventaren wichtige Informationen gegeben bzw. essentielle Daten übermittelt haben.



Signatur-Bez-Recto:
Rücks. Wachssiegel der Königlichen Gemälde-Galerie in Dresden. Ebd. hs. Nummerierung 5597 und hs. Bezeichnung "from the Royal Collection (Saxony)"
Technik:
Öl und Perlmuttplättchen
Träger:
auf Holz
Maße:
42,5 x 26,3 cm
Zustand:
Rest
Rahmen:
Rahmen (52,5 x 36 cm)
Kommentar:
Dr. Michael Hofbauer, Heidelberg, bestätigte nach der Prüfung des Originals per Mail vom 12. Juli 2023 die Eigenhändigkeit des vorliegenden Gemäldes. Er hat dieses am 8. Juli 2023 auch mittels Infrarotreflektographie (OSIRIS A1) untersucht. Das Gemälde war bereits in den Corpus Cranach mit Nr. CC-SUP-100-118 aufgenommen, die Daten werden aktualisiert, die Autorschaft wird mit "C1" (Lucas Cranach der Ältere oder innerhalb von dessen Werkstatt entstanden) erfasst werden. Dr. Hofbauer grenzt den Zeitraum der Entstehung zwischen 1530 und vor 1536/37 ein, dem Zeitpunkt als die Warschauer Version (Corpus Cranach CC-SUP-100-032) geschaffen wurde. Provenienz: Königliche Gemälde-Galerie Dresden mit folgenden Einzelnachweisen: Johann Adam Steinhäuser, Inventar 1722-28 (Handschrift, Archiv der SKD, Gemäldegalerie Alte Meister, Nr. 356), Inv.-Nr. B 120: als Kopie nach Lucas Cranach. Angabe der Herkunft "Kunstcamm." (= Kunstkammer). Das Gemälde gehörte also zum Bestand der 1560 von Kurfürst August von Sachsen eingerichteten Dresdner Kurfürstlichen Kunstkammer. Das Gemälde kann aufgrund der sehr summarischen Erfassung von Gemälden in den Kunstkammer-Inventaren dort jedoch nicht identifiziert werden. - Johann Adam Steinhäuser, Inventar 1741 / "Steinhäusers Inventar" (Handschrift, Archiv der SKD, Gemäldegalerie Alte Meister, Nr. 357), Inv.-Nr. 120: wiederum als Kopie nach Lucas Cranach. - Königliche Gemäldegalerie Dresden, Inventar "Vorrat" (1858), Inv.-Nr. 244: als Kopie nach Cranach. "Ein Alter liebkost ein Mädchen, das ihm ungemerkt Geld aus dem Beutel nimmt. In der Gewandung sind Perlmutter Stücke eingesetzt." - Verzeichnis der aus den Vorräthen der Kgl. Gemälde-Galerie zu Dresden den 16. April 1860 [...] zu versteigernden Oelgemälde, durch Carl Gotthelf Bautzmann, Kgl. Bücher-Auctionator und Taxator. Dresden 1860, S. 13, Kat.-Nr. 81 "Ein Alter liebkost ein Mädchen ..." (dort als Schule Lucas Cranachs katalogisiert). - Neumeister, München, Auktion 152, 13.-15. März 1974, Kat.-Nr. 1364 (mit Abb. Taf. 105): als eigenhändige Arbeit Lucas Cranachs d. Ä. - Süddeutscher Privatbesitz (Nachlass des Käufers von 1974). Literatur: "Cranach". Hg. von Harald Marx und Ingrid Mössinger. Mit einem Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erarbeitet von Karin Kolb. Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Chemnitz, 13. November 2005 - 12. März 2006. Köln 2005, S. 539, mittlere Spalte unten: das vorliegende Gemälde. Wir danken allen involvierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden für ihre unkomplizierte Unterstützung im Rahmen der Katalogisierung. Namentlich genannt seien Dr. Roland Enke, Carina Merseburger und Vera Wobad, die bezüglich der Nachweise des Gemäldes in den Dresdener Inventaren wichtige Informationen gegeben bzw. essentielle Daten übermittelt haben.